Affenpocken: Pandemie 2.0?
Berichte über bestätigte Fälle von Affenpocken werden täglich mehr, die Gesundheitsbehörden sind alarmiert. Unsere Analyst*innen Katrin Roosens und Thorsten Muth sind der Frage nachgegangen, ob der Welt nach COVID-19 nun eine neue Katastrophe bevorsteht.
In Europa spielten die Affenpocken (engl. Monkeypox) im öffentlichen Bewusstsein bis vor Kurzem keine Rolle. Dies änderte sich Mitte Mai schlagartig, wie ein Blick auf die Google-Trends zeigt: Mit dem ersten bestätigten Auftreten der Krankheit in Deutschland am 20. Mai schossen auch die Suchanfragen der hiesigen Internet-User in die Höhe. Was sind Affenpocken? Das Robert Koch-Institut (RKI), das den meisten Deutschen seit der COVID-19-Pandemie ein Begriff ist, beschreibt die Krankheit als seltene, meist von Nagetieren übertragene Viruserkrankung (Zoonose), die vor allem in West- und Zentralafrika verbreitet sei und bei engem Kontakt auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Symptome sind plötzlich einsetzendes Fieber, starke Kopfschmerzen, Rücken- und Halsschmerzen sowie Husten und Schwellungen der Lymphknoten. Typischerweise tritt am Gesicht ein pockentypischer Ausschlag auf, der sich dann auf andere Körperteile ausbreitet. Narben hinterlassen Affenpocken normalerweise jedoch nicht.
Déjà-vu: Eine neue Pandemie?
Vieles am aktuellen Medienecho erinnert an den Ausbruch und die Verbreitung von COVID-19 im Frühjahr 2020: Ein Land nach dem anderen meldet erste Fälle von Affenpocken, in einigen Staaten steigen die Fallzahlen in kürzester Zeit rapide an. Aktuell (Stand 25.07.) sind in dutzenden Ländern über 6.000 bestätigte Fälle bekannt. Sensibilisiert durch die Erfahrungen mit dem Coronavirus blicken viele mit Sorge auf die neue Gefahr, die inmitten eines ohnehin schon turbulenten Jahres wie aus dem Nichts kam. Es gibt jedoch einige fundamentale Unterschiede zu COVID-19, die gegen eine neue verheerende Pandemie sprechen: Die Affenpocken sind keine unbekannte Krankheit, es gibt Erfahrungswerte und wirksame Medikamente. Außerdem mutieren Pockenviren nicht so rasch wie das Coronavirus. Auch entfällt eine klassische Risikogruppe, denn Menschen über 50 dürften durch eine Pocken-Impfung in der Vergangenheit zumindest einen Basisschutz gegen das Virus entwickelt haben (Stichwort Kreuzimmunität). Da die Pocken in den 1970er Jahren jedoch als ausgestorben galten und die Impfkampagnen eingestellt wurden, haben die Jüngeren aktuell das Nachsehen. Außerdem gilt bisher vor allem eine Gruppe von Menschen als besonders gefährdet: Bundesgesundheitsminister Lauterbach zufolge infizierten sich nach bisherigen Erkenntnissen in erster Linie Männer, die zuvor gleichgeschlechtlichen Sex hatten. Gleichzeitig warnt der Minister vor der Stigmatisierung betroffener Gruppen.
WHO fordert dringend Maßnahmenpaket
Obwohl und gerade weil die Affenpocken keine unbekannte Krankheit sind, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) frühzeitig notwendige Maßnahmen angemahnt: Die Verfolgung aller Kontakte der Betroffenen sei absolut notwendig. Kliniken und Bevölkerung müssten für ungewöhnliche Hautausschläge sensibilisiert werden und für medizinisches Personal seien die üblichen Vorkehrungen für Kontakt- oder Tröpfcheninfektionen zu treffen. Wenige Tage später folgte der erneute Appell, das Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung weiter zu erhöhen sowie einzelne Fälle umfassend ausfindig zu machen und zu isolieren. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Belgien führte als erstes Land eine 21-tägige Quarantäne für Affenpocken-infizierte ein, die britische Gesundheitsbehörde UKHSA zog direkt nach und empfahl für enge Kontaktpersonen von Infizierten eine dreiwöchige Quarantäne. Am 24. Mai folgten Gesundheitsminister Lauterbach und RKI-Chef Wieler auf einer gemeinsamen Pressekonferenz diesem Kurs und verkündeten ebenfalls eine 21-tägige Quarantäne (mindestens aber “bis zum Abfall der Krusten”). Es seien bereits 40.000 Dosen eines Impfstoffs bestellt worden.
Ein möglicher weiterer Rückschlag für die Tourismus-Branche
Einige der genannten Gründe sprechen dagegen, dass die Affenpocken-Ausbrüche auch nur annähernd das gleiche Zerstörungspotenzial erreichen wie die Corona-Pandemie. Doch sie bilden ein weiteres Hindernis, das es für Reisende auf dem Weg in den Sommerurlaub zu umschiffen gilt. Während viele Reisehungrige bereits sehnsüchtig auf die Öffnung der letzten noch geschlossenen Destinationen (z.B. Japan oder China) warten, sind andere durch den Ukraine-Krieg, die gesteigerten Lebenshaltungskosten und dieser neuen, gefühlt sehr nahen Bedrohung durch die Affenpocken verunsichert. Noch scheint das Thema jedoch keine allzu wichtige Relevanz bei der Urlaubsbuchung zu haben, wie Nachfragen in der Branche ergeben. Besorgte Kundenrückfragen blieben demnach bisher aus. Auch der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) rechnet aktuell nicht mit einer Gefahr für die Reisewirtschaft. Andererseits kommen aus Asien erste Meldungen über reiserelevante Maßnahmen: Thailand, Indien und Bangladesch haben bereits verstärkte Gesundheitskontrollen an allen Grenzübergängen angekündigt.
Aus Sicht der WHO sind Reisebeschränkungen oder Absagen von Veranstaltungen in betroffenen Ländern noch nicht notwendig, denn Experten halten die Gefahr für die Bevölkerung für gering. Eine weitere Ausbreitung sollte allerdings mit den verfügbaren Mitteln wie Meldepflicht, konsequenter Isolierung und Kontaktverfolgung verhindert werden. Es gilt nicht nur die Risikogruppen zu schützen, sondern auch um die Wahrscheinlichkeit gefährlicher Mutationen zu verringern, und letzten Endes auch ohnehin schon gebeutelte Wirtschaftszweige wie den Tourismus oder die Veranstaltungsbranche nicht erneut einbrechen zu lassen. Die gute Nachricht: Bei Massenveranstaltungen könne es zwar zu Ansteckungen kommen, so die WHO, doch Vorsichtsmaßnahmen gegen COVID-19 würden natürlich auch gegen Affenpocken wirken.
UPDATE: WHO erklärt Affenpocken-Ausbruch zur internationalen Notlage
Am Samstag (23.07.) hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den internationalen Ausbruch der Affenpocken, der mittlerweile mehr als 50 Länder umfasst, zu einer „Notlage von internationaler Tragweite“ erklärt. Auf einer Pressekonferenz erklärte Generaldirektor Ghebreyesus, dass die Einstufung die Aufmerksamkeit der Mitgliedsländer erhöhen solle. Bisher hat dies jedoch keine direkten praktischen Folgen: Regierungen müssen über etwaige Maßnahmen in ihren Ländern selbst entscheiden.