Blog Jahresausblick 2024

Neue Allianzen, alte Herausforderungen: Russischer Einfluss und terroristische Bedrohungen in Westafrika und der Sahelzone

Am Rande der medialen Aufmerksamkeit fanden in Westafrika und der Sahelzone in den letzten Jahren politische Umstürze statt. Viele Staaten der Region stehen daher politisch vor einem ungewissen Jahr 2024. Folgend, ein klärender Blick auf die Lage.

Die Liste an Ländern der Region, in denen seit dem Jahr 2020 Militärputsche stattgefunden haben, wird immer länger. Nach Mali, Guinea, Tschad, dem Sudan und Burkina Faso, wurden 2023 auch die Regierenden im Niger und in Gabun von der Macht verdrängt. Und ein Ende dieser neuen „Lust am Coup“ ist noch nicht abzusehen. Ende des Jahres kam es in zwei weiteren Staaten der Region zu offenen, wenn auch begrenzten, Kämpfen um die politische Herrschaft. Im Dezember mündete der Konflikt zwischen dem Parlament und der Regierung von Guinea-Bissau in der Auflösung des Ersteren durch Präsident Umaro Sissoco Embalo, der von einem versuchten Staatsstreich spricht.
In Sierra Leone entluden sich am 26. November die Spannungen zwischen Regierung und Opposition nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni dieses Jahres, als es in der Hauptstadt Freetown zu Gefechten zwischen Regierungssoldaten und abtrünnigen Armeeeinheiten kam. Auch hier bezeichnete der Präsident die Angriffe als gescheiterten coup d’état.

Während die genauen Auswirkungen der Putschversuche in Guinea-Bissau und Sierra Leone auf die Zusammenarbeit mit der EU und das Thema Reisesicherheit noch nicht abzusehen sind, zeigt der Machtwechsel im Niger im Juli 2023 bereits erste Auswirkungen. Nach der Absetzung von Präsident Mohamed Bazoum durch die Präsidialgarde und deren Anführer Abdourahamane Tiani, kündigte Niamey das 2015 mit der EU vereinbarte Anti-Schleuser-Gesetz auf, welches dazu diente, Migranten den Weg über das Mittelmeer in die EU zu versperren. So ist die Zahl der Menschen, die Europa seit 2015 auf diesem Wege erreichten, von 100.000 auf 10.000 pro Jahr gesunken. Nach Auflösung des Paktes rechnen Experten mit einer Zunahme der Migrationsbewegungen nach Europa. Angesichts der unterschiedlichen Haltungen der europäischen Länder zur Migration kann diese Entwicklung zu einer Destabilisierung der EU im Innern beitragen. Als Gewinner würde Russland dastehen, das versucht, seinen Einfluss im Niger und in der Region zu steigern. Dabei kann es sich der Ablehnung der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich in weiten Teilen der Bevölkerung sicher sein.

Weitere Anzeichen einer außen- und sicherheitspolitischen Neuorientierung Nigers sind die Beendigung der Zusammenarbeit mit der EU bei der zivilen Aufbaumission EUCAP Sahel Niger sowie der militärischen Kooperationsmission EUMPM. Stattdessen intensiviert die Junta ihre Kontakte zu Russland, um sich bei Fragen der Verteidigung beraten zu lassen. Wie schon in Mali und Burkina Faso hat Russland auch den neuen Machthabern in Niamey Unterstützung durch Söldner der Wagner-Gruppe angeboten. War Niger bisher ein strategisch wichtiger Partner westlicher Staaten beim Kampf gegen dschihadistische Gruppen in der Sahelzone, verschlechtert sich die Sicherheitslage im Dreiländereck Niger-Mali-Burkina Faso zusehends.

Auch in anderen Ländern der Region schwindet der Einfluss westlicher Staaten, nicht zuletzt auf militärischer Ebene. Nachdem die Regierung Malis die Vereinten Nationen im Juni 2023 zu einer Beendigung der Friedensmission MINUSMA im Land aufgefordert hatte, werden die letzten Streitkräfte bis zum Ende des Jahres das Land verlassen haben. Das so entstehende Sicherheitsvakuum werden in der Sahelzone agierende terroristische Gruppierungen für sich zu nutzen wissen und versuchen, ihre Kontrolle über die Region auszuweiten. Eine ähnliche Situation zeigt sich im Tschad, wo Mahamat Idriss Déby im April 2021 die Macht von seinem Vater übernahm. Bisher war das Land ein wichtiger Sicherheitspartner Frankreichs in der Region, das in N’Djamena seine letzte Militärbasis im Sahel betreibt, nachdem es bereits seine Truppen aus Niger, Burkina Faso und Mali zurückziehen musste. Sollte Frankreich seine Soldaten auch aus dem Tschad abziehen müssen, wäre die ganze Region, aus Sicht westlicher Militärexperten, offen für Dschihadisten und Schleuser. Vertreter der Opposition und der Zivilgesellschaft fordern bereits den Abzug aller französischen Truppen aus dem Land.

Das Jahr 2024 wird in Westafrika und der Sahelzone sehr wahrscheinlich von wachsender Instabilität geprägt sein. Die Putsche der letzten Jahre haben zwar neue politische Konstellationen hervorgebracht, konnten bisher aber die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort nicht entscheidend verbessern. So wie der politische und militärische Einfluss Russlands in der Region steigt, so schwinden die Möglichkeiten Europas, Entwicklungen, etwa in den Bereichen Sicherheit und Migration, mitzugestalten. Während Abkommen mit der EU aufgekündigt werden und die letzten UN-Soldaten die Region verlassen, bietet Russland sich als Partner an. Gleichzeitig erobern dschihadistische Terrorgruppen immer größere Gebiete und destabilisieren den gesamten Sahel. Sollte es den Staaten der Region nicht gelingen, den dschihadistischen Vormarsch zu stoppen, ist 2024 mit einer weiteren Zunahme der Flüchtlingsbewegungen zu rechnen.

Die genannten Sicherheitsdefizite können auch den Tourismus in Nachbarländern wie dem Senegal, eines der Hauptzielländer in der Region für Reisende aus Europa, beeinträchtigen. Gemeinsam mit einer stärkeren wirtschaftlichen Hinwendung zu außereuropäischen Akteuren ist es wahrscheinlich, dass die Neuorientierung der westafrikanischen Staaten auch für den Bereich Geschäftsreisen eine Belastung darstellen wird. Weitere Auswirkungen auf Reisetätigkeiten lassen sich noch nicht realistisch abschätzen. Ob sich 2024 beispielsweise die Visabestimmungen für Bürger der EU ändern werden, ist noch nicht bekannt. Und auch ob noch weitere Staaten der Region den Putschen der vergangenen Jahre folgen werden, wird sich erst zeigen müssen.

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hoheneder