Blog Jahresausblick 2024

Israel und Saudi-Arabien – Ein fragiler Tanz der Regionalhegemonien

Am 20.09.2023 nahm der Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) Stellung zu Sondierungen bezüglich eines Abkommens zwischen Saudi-Arabien und Israel: „Every day we get closer“.  Der Außenminister Israels, Eli Cohen, prognostizierte einen Tag später, dass eine Vereinbarung im ersten Quartal 2024 gefunden würde.
Mittlerweile führt Israel einen Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen und die Annäherung scheint in weite Ferne gerückt zu sein.

An welchem historischen Punkt sich die Beziehung zwischen Israel und Saudi-Arabien befinden, welche Kerninteressen die beiden Staaten verfolgen und mit welchem Blick wir diesbezüglich auf das Jahr 2024 schauen können, ist Gegenstand des Beitrags.

An welchem Punkt befinden wir uns?

Nach Jahrzehnten der Distanzierung durch die Arabische Liga normalisierten Ägypten (1979) und Jordanien (1994) als Erste ihre Beziehungen zu Israel.
Die Arabische Liga hatte sich nach dessen Gründung gegen eine Anerkennung ausgesprochen und 15 von 22 Mitgliedsstaaten unterhalten weiterhin keine diplomatischen Beziehungen zu Israel.
2020 unterzeichneten jedoch die Staaten Sudan, Marokko, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) ein bilaterales Abkommen mit Israel, welches zu einer Normalisierung der Beziehungen und damit einhergehend einer Anerkennung führte.

Im Rahmen des von den USA vermittelten Abraham-Abkommens erhielt Marokko im Austausch für die Anerkennung Israels, US-amerikanischen Zuspruch bei der Anerkennung der Westsahara als marokkanisches Staatsgebiet und die VAE die Zusicherung der Lieferung von F-35-Kampfjets. Der Sudan wurde im Austausch für die Anerkennung von der Liste der „State Sponsors of Terrorism“ gestrichen.
Das Abkommen spiegelte sich auch im Tourismus wider. So besuchten im Jahr 2022 200.000 israelische Touristen Marokko und 268.000 Touristen die VAE.

Die Chance auf ein solches Abkommen durfte nicht an Saudi-Arabien vorbeiziehen. Speziell unter MBS versucht der größte Staat der Arabischen Halbinsel mit seiner proklamierten „Vision 2030“ eine liberale und moderne Außenpolitik zu führen, was eine Annäherung an Israel ermöglicht. 2020 öffnete Saudi-Arabien den Luftraum für die zivile Nutzung durch israelische Flugzeuge, was Flugrouten nach Südostasien stark verkürzte. Der Tourismusminister Israels, Haim Katz, besuchte als erster Minister Israels offiziell Saudi-Arabien am 26. September 2023. Am 1. Oktober folgte der Minister für Kommunikation, als er eine Konferenz in Riad besuchte. Beide Staaten tauschten bereits jahrelang Geheimdienstinformationen in Bezug auf Iran aus. Doch auch während des aktuellen Krieges im Gazastreifen hat Saudi-Arabien Raketen abgefangen, die aus dem Jemen in Richtung Israel abgefeuert wurden.

Welche Interessen verfolgen also die beiden Staaten?

Wer verfolgt welche Interessen?

Israel: Das stärkste Interesse hat Israel an der symbolischen und faktischen Anerkennung seines Staates durch den Hüter des wichtigsten Heiligtums des Islams. Eine Anerkennung Israels seitens Saudi-Arabiens würde jene Narrative schwächen, die Terrorismus gegen Israel religiös legitimieren. Auch eröffnet dies perspektivisch die Tür zu anderen islamischen Staaten, wie Malaysia und Indonesien, die besonders als Absatzmarkt interessant wären. Gleichsam würde Israel mit Saudi-Arabien Zugang zu einem Markt mit 20 Millionen Käufern gewinnen (nach dem Abkommen mit den VAE verdoppelte sich das Handelsvolumen zwischen den beiden Staaten). Ein weiteres Sicherheitsinteresse besteht in der Bildung einer politischen Front gegen den Iran.

Saudi-Arabien: Saudi-Arabiens Interessen sind gegenüber Israel klar sicherheitspolitischer Natur. Ein Abkommen würde ein Zugeständnis der USA zur Lieferung moderner Waffensysteme beinhalten, wie auch Sicherheitsgarantien auf militärischer Ebene. Denn Saudi-Arabiens größte regionale Bedrohung ist der gemeinsame Feind Iran, der sowohl im Jemen schiitische Huth’i Rebellen unterstützt als auch die Hisbollah im Libanon und die Hamas in Palästina.  Außerdem hat Saudi-Arabien ein Interesse daran mit Hilfe der USA ein ziviles Nuklearprogramm aufzubauen, das auch zur Herstellung nuklearer Waffen eingesetzt werden könnte. Somit versucht Saudi-Arabien vor allem eins, durch militärische Aufrüstung eine Führungsrolle gegen Iran einzunehmen und gleichzeitig damit seine Führungsrolle im Nahen Osten gegenüber anderen arabischen Staaten zu behaupten. Von Israel erhofft sich Saudi-Arabien Zugriff auf einen ausgebauten IT-Sektor.

Wie wahrscheinlich ist ein Abkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien?

Käme ein Abkommen zustande, so würde dies den Friedensprozess im Nahen Osten fördern und den allgemeinen Wohlstand in der Region mehren.

Der Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 hat jedoch einen Stopp der Annäherungen zwischen beiden Staaten verursacht. Saudi-Arabien als deklarierter Unterstützer der palästinensischen Unabhängigkeitsbestrebungen wird keine Annäherung Israels versuchen, solange Krieg im Gazastreifen herrscht. Aufgrund der Rivalität zu Iran ist jedoch zu prognostizieren, dass die sicherheitspolitischen und ökonomischen Interessen Saudi-Arabiens über der Solidarität zu einem palästinensischen Staat stehen werden, sollte Israel nicht gewillt sein, seine Siedlungspolitik aufzugeben. Dies gilt vor allem, weil die Hamas, aufgrund ihrer Verbindung zum Iran und ihrer historischen Vernetzung mit der Muslim Bruderschaft ebenfalls ein Dorn im Auge Saudi-Arabiens ist.
Der Staat wird also auch nach dem Ende des aktuellen Krieges bestrebt sein, die Normalisierung seiner Beziehungen zu Israel voranzutreiben. Da aber auch im Jahr 2024 Präsidentschaftswahlen in den USA stattfinden, kann nicht garantiert werden, dass eine evtl. neue Administration gewillt ist, die gleichen Zugeständnisse Saudi-Arabien gegenüber zu machen, wie dies bisher geschah. Dasselbe gilt für die Regierung Netanjahus. Sollten die Gerichtsprozesse wegen Korruption und Machtmissbrauch mit einem Schuldspruch enden, wäre die israelische Politik kurz- und mittelfristig vor allem mit sich selbst beschäftigt. Die Lage bleibt also höchst labil.

Author

Marian Nothing