Brandherde und Pulverfässer: Ein Blick auf die bewaffneten Konflikte unserer Zeit
Einige bewaffnete Konflikte toben seit Jahren, andere brodeln unter der Oberfläche: Travel Security Analyst Thorsten Muth fasst die wichtigsten Krisen der Gegenwart zusammen.
Im 21. Jahrhundert haben nationalpopulistische Expansionsphantasien zu blutigen Eskalationen geführt, die sich durch die etablierten internationalen Sicherheitsmechanismen kaum mehr kontrollieren lassen. Noch bevor eine Krise nachhaltig gelöst ist, entsteht bereits eine neue. Der Blick zurück lässt wenig Hoffnung auf Entspannung im Jahr 2024 zu.
Krieg zwischen Israel, Hamas und Hisbollah
Am 7. Oktober setzte eine beispiellose Gewaltspirale ein, die bis Anfang Dezember etwa 1.200 Israelis und 15.500 Palästinenser das Leben kosten sollte. Auf einen Terrorangriff der militant-islamistischen Hamas, begonnen mit tausendfachen Raketenangriffen auf israelische Großstädte und Massakern in grenznahen Ortschaften, folgten Luftangriffe und eine extensive Bodenoffensive der IDF im Gazastreifen. Kurzzeitig befürchteten Beobachter eine überregionale Eskalation, doch trotz Protesten und Solidaritätsbekundungen aus der islamischen Welt blieb diese aus. Die Vereinigten Staaten verlegten jedoch ein Kriegsschiff ins östliche Mittelmeer und sandten damit vor allem an Iran eine unmissverständliche Warnung. Die von Teheran unterstützte Hisbollah eröffnete mit täglichen Angriffen auf den Norden Israels einen eigenen Kriegsschauplatz, auch wenn sich der von Dauerkrisen geschüttelten Libanon selbst keine direkte Konfrontation mit dem südlichen Nachbarn leisten kann. Auch die vereinzelten Angriffe der jemenitischen Houthi-Rebellen auf Schiffe im Roten Meer tragen mutmaßlich die Handschrift Irans. Eine Waffenruhe zwischen Hamas und Israel wurde im Dezember nach wenigen Tagen beendet, dauerhafte Entspannung ist also noch nicht in Sicht. Bereits jetzt sind die Auswirkung auf den Tourismus enorm: Reisewarnungen, Flugstreichungen bei dutzenden Airlines. Die Sicherheitslage in allen Teilen Israels und der Palästinensergebiete ist prekär: Raketenangriffe und Selbstmordattentate in Israel, Razzien und Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Palästinensern im Westjordanland. Bis zu 150.000 Touristen erwartet Israel normalerweise in der Weihnachtswoche, in 2023 zeichnet sich jedoch eine gravierende Zäsur ab.
Krisenherde in Europa: Ukraine und Kosovo
Der Krieg in der Ukraine geht ins dritte Jahr, was sich auch in den Katalogen bemerkbar macht: So mancher deutsche Reiseveranstalter hat die normalerweise als sicher geltenden Baltikum-Staaten aus dem Programm genommen. Und betrachtet man den internationalen Flugverkehr in Echtzeit, so klafft auf der Weltkarte zwischen Ostkarpaten und Donezbecken weiterhin ein riesiges Loch. Weil viele Airlines auch nicht mehr über Russland fliegen, sind vor allem Asien-Flüge teurer geworden. Auf dem Boden haben sich die Fronten trotz einer verlustreichen ukrainischen Gegenoffensive längst festgefahren. Die Streitkräfte beider Seiten stehen unter erheblichem Druck, es ist unwahrscheinlich, dass sich der Krieg auf zusätzliche Länder ausweitet: Der Kreml wird in absehbarer Zukunft keine neue Front eröffnen wollen, erst recht nicht gegen Staaten der Europäischen Union. Russland begnügt sich mit Nadelstichen: Künstlich gelenkte Migrationsbewegungen, die an den östlichen EU-Außengrenzen für Belastung sorgen, haben kürzlich etwa die Schließung der finnisch-russischen Grenzübergänge erzwungen. Anderswo in Europa flammte Ende September unterdessen ein anderer Konflikt auf: Im Norden des Kosovo war eine Patrouille kosovarischer Sicherheitskräfte in einen tödlichen Hinterhalt geraten. Serbien zog kurzzeitig Truppen an der Grenze zusammen, die Regierung Kosovos befürchtete eine Invasion. Die Spannungen zwischen Prishtina und der serbischen Bevölkerung, die im nördlichen Teil des Bezirks Mitrovica die Mehrheit bilden, bergen Eskalationspotenzial. Auch ein aufmerksamer Blick auf die Lage in Bosnien und Herzegowina ist geboten: Die Führung der bosnischen Serben, die den Völkermord von Srebrenica nicht anerkennt und zudem mit Putin sympathisiert, befindet sich mit dem internationalen Gesandten, der die Einhaltung des Friedensabkommens überwacht, im Dauerkonflikt.
Blick nach Ostasien: China, Taiwan und Korea
Bereits 2022 hat Präsident Xi Jinping den chinesischen Anspruch als neuer World Leader angemeldet: Spätestens zum 100. Jahrestag ihrer Gründung, also im Jahr 2049, will die Volksrepublik weltweit führend sein – technologisch, militärisch und politisch. Dabei geht China leiser vor als die russischen Verbündeten und setzt in erster Linie auf wirtschaftliche Expansion, namentlich die Initiative “Neue Seidenstraße” (One Belt One Road). Auf lange Sicht sollten Risikomanager jedoch auch Ostasien im Blick behalten, denn auch hier köchelt ein alter Konflikt: Mitte September überflogen mehr als 100 chinesische Kampfjets den Luftraum Taiwans, die Marine übt regelmäßig Seelandeoperationen. Bisher lässt Peking nur die Muskeln spielen, doch es ist fraglich, ob eine Eskalation auf Dauer tatsächlich vermieden werden kann. Zumindest im Moment erscheint die Invasion der seit 1945 de facto unabhängigen Insel zumindest unwahrscheinlich: Eine direkte Konfrontation mit den USA, die ein strategisches Interesse an Taiwan haben, will die Volksrepublik vermeiden. Beunruhigende Nachrichten kommen unterdessen von der koreanischen Halbinsel, wo Nordkorea Ende November ein Abkommen mit Südkorea zum Abbau militärischer Spannungen ausgesetzt hat. Nun sollen an der Grenze zum Süden wieder mehr Waffen und Truppenkontingente stationiert werden.
Armenien und Aserbaidschan: Ein gelöster Konflikt?
Im September beendete Aserbaidschans Präsident Aliyev den Bergkarabach-Konflikt im militärischen Alleingang: Nach mehrmonatiger Blockade und systematischer Unterbrechung der Strom-, Gas- und Lebensmittelzufuhr zwang er die Bergkarabach-Armenier durch eine eintägige Offensive zur Aufgabe. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit vollzog sich eine ethnische Säuberung, als die knapp 100.000 Armenier, die nach dem 44-tägigen Krieg 2020 in der umstrittenen Region verblieben waren, innerhalb weniger Tage die Flucht auf armenisches Staatsgebiet antraten. Befeuert durch das wiederholte Versagen internationaler Sicherheitsinstrumente könnte der Konflikt in eine neue Phase treten: Aserbaidschan und die Türkei fordern selbstbewusster denn je einen Transportkorridor durch Armenien, bringen gar eine Annexion des südlichen Teils des Landes ins Gespräch. Bereits im Oktober bemerkte US-Außenminister Blinken, eine Invasion sei bereits in nächster Zeit vorstellbar. Russland, das mit dem Abzug seiner sogenannten “Friedenstruppen” aus Bergkarabach scheinbar an Einfluss verloren hat, kommt unterdessen eine neue Rolle zu: Die Beziehungen zwischen Moskau und Baku waren selten besser, während sich die russisch-armenische Partnerschaft – Armenien ist Teil des von Russland geführten Militärbündnisses CSTO – am Nullpunkt befindet. Da sich trotz der Unzufriedenheit in Armenien kein pro-russischer Machtwechsel in Jerewan abzeichnet, könnte sich Russland als Schutzgarant eines Korridors durch Armenien anbieten. Bisher ist noch ungewiss, was die Zukunft bringen wird. Mit knapp über 2 Millionen Besuchern jährlich gilt Armenien touristisch zwar noch als Geheimtipp, doch ein erneutes Aufflammen des Konflikts könnte die Sicherheitslage in der gesamten Region weiter destabilisieren.