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Fokus-Ereignis: Bewaffneter Konflikt in Bergkarabach

  • Die aserbaidschanischen Militäroffensive gegen die umstrittene Region Bergkarabach endete in einem Waffenstillstand; die Separatisten haben begonnen ihre Waffen abzugeben.
  • Die humanitäre Lage in den betroffenen Gebieten ist gravierend; im umstellten Stepanakert bereiten sich die Menschen auf die Flucht nach Armenien vor.
  • In Jerewan finden täglich Proteste gegen die Inaktivität der Regierung statt.
  • Stand Samstag (30.09.) waren über 100.000 Armenierinnen und Armenier aus Bergkarabach geflohen.

Stand: 02.10.2023, 10 Uhr Ortszeit (GMT+4)

Überblick. Die großangelegte „Anti-Terror-Operation lokalen Charakters zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“ der aserbaidschanischen Streitkräfte gegen Bergkarabach von Dienstag auf Mittwoch (19./20.09.) wurde vom aserbaidschanischen Präsidenten für beendet erklärt. Die Opferzahlen belaufen sich auf Seiten der Bergkarabach-Armenier auf hunderte Tote und Verletzte. Erste Gespräche über eine Re-Integration der Region nach Aserbaidschan fanden am Donnerstag (21.09.) statt und wurden als „konstruktiv“ bezeichnet, am Freitag (22.09.) begann die separatistische Führung mit dem Rückzug ihrer Truppen und der Abgabe ihrer Waffen. Am Sonntag (24.09.) wurde bekanntgegeben, dass die meisten der 120.000 Einwohner nach Armenien übersiedeln wollten. Das Auswärtige Amt warnt weiterhin vor Reisen in die Region Bergkarabach sowie ins gesamte aserbaidschanische Grenzgebiet zu Armenien bzw. in verschiedene Gebiete des armenischen Grenzgebiets zu Aserbaidschan. Das britische FCDO rät von allen Reisen nach Bergkarabach sowie in die umliegenden Regionen ab; die Reisehinweise für Armenien blieben unverändert.

Einschränkungen vor Ort. Die direkten Kampfhandlungen waren nach einem Tag beendet. In der de-facto-Hauptstadt Stepanakert schlugen Geschosse auch in Wohnhäuser ein und zogen die zivile Infrastruktur in Mitleidenschaft. Das Ausmaß der Schäden in anderen Regionen war nicht zunächst nicht bekannt, da die Kommunikation zwischen den einzelnen Ortschaften noch tagelang unterbrochen war. Bereits am ersten Tag wurden insgesamt 10.000 Menschen aus Ortschaften in den Regionen Askeran, Martakert, Martuni und Schuschi evakuiert. Mehrere tausend Personen fanden Zuflucht am (nie in Betrieb genommenen) Flughafen Stepanakert, wo sich die Basis der sogenannten „Friedenstruppen“ Russlands befindet. Aserbaidschanische Truppen umstellten Stepanakert, wo Anwohner und Flüchtlinge noch bis Sonntag (24.09.) in ihren Kellern oder unter freiem Himmel ausharrten. Nach monatelanger Blockade gab es weder Strom, Gas oder Treibstoff noch Lebensmittel, Internet oder Telefonverbindungen. Am Wochenende wurden dann erste Hilfslieferungen nach Stepanakert verschickt, die aserbaidschanischen Behörden stellten in der Nacht zum Montag (25.09.) die Stromversorgung wieder her. Bereits am Samstag (23.09.) hatte Armenien die Vereinten Nationen aufgefordert, eine Mission nach Bergkarabach zu schicken, um die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten. Gleichzeitig setzte eine umfassende Fluchtbewegung ein, inmitten der am Montagabend (25.09.) in Stepanakert ein Treibstofftank explodierte. Berichte sprechen mittlerweile von 170 Toten und mehreren hundert 290 Verletzten. Ausreisewillige, denen es an Transportmöglichkeiten fehlt, können sich seit Dienstag (26.09.) im Armenia Hotel in Stepanakert für den Bus-Transfer registrieren.

Auswirkungen in Armenien und Aserbaidschan. Die Ausreise aus Armenien ist ohne Einschränkungen über den Flughafen Jerewan möglich, aus Aserbaidschan über Baku. In an Bergkarabach angrenzenden aserbaidschanischen Gebieten wurden nur kurzzeitig vereinzelte Kampfhandlungen verzeichnet. Der Zugang zu Social Media-Kanälen wurde eingeschränkt, ansonsten waren in Baku und anderen Regionen Aserbaidschans keine Auswirkungen der Militäroffensive spürbar. Im benachbarten Armenien blieb es ebenfalls ruhig, auch im Grenzgebiet zu Aserbaidschan, da die regulären Truppen Armeniens nicht in die Konfrontation verwickelt waren. Im Zentrum von Jerewan kommt es jedoch täglich zu Demonstrationen und Straßenblockaden, auch Hauptverkehrsstraßen zwischen Sevan, Gavar und Martuni am Südufer des Sevan-Sees wurden bereits blockiert. Im Süden des Landes, der von den meisten kommerziellen Reiseveranstaltern aufgrund diverser Reisewarnungen zurzeit gemieden wird, ist in den kommenden Tagen mit einer erhöhten Konzentration von Sicherheitskräften zu rechnen. Einschränkungen durch Flüchtlingsströme sind seit Montag (25.09.) möglich, da laut der Führung der Bergkarabach-Armenier die meisten der 120.000 Menschen nach Armenien kommen wollten. Im Grenzort Kornidzor (Syunik) kamen bis Samstag (30.09.) über 100.000 Personen an.

Mögliche weitere Entwicklungen. Die Führung von Bergkarabach hat angekündigt, die abtrünnige Republik Arzach zum 1. Januar 2024 aufzulösen. Die Lage im Südkaukasus bleibt allerdings nach wie vor angespannt. Bei einem Treffen deuteten die Präsidenten der Türkei und Aserbaidschans an, einen Korridor durch „West-Zangezur“, die armenische Provinz Syunik, durchsetzen zu wollen. Als Reaktion darauf entsandte Frankreich einen Tag später einen Militärattaché nach Armenien mit dem Auftrag, in Syunik ein Konsulat zu eröffnen. Gleichzeitig ruderte der türkisch Präsident zurück und erklärte, es werde auch mit dem Iran über einen möglichen Transportkorridor (über iranisches Gebiet) verhandelt.

Dieses Ereignis wird seit dem 02.10.2023 nicht mehr aktualisiert.

Author

Thorsten Muth