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Mali: Europas nächstes Afghanistan?

Dschihadisten auf dem Vormarsch, westliche Truppen auf dem Rückzug und ein ganzes Land am Rande des Abgrunds. Diese Beschreibung dürfte den Meisten schmerzlich bekannt vorkommen, aber das fragliche Land ist nicht Afghanistan im Jahr 2021, sondern Mali im Jahr 2022. Die Parallelen hören damit nicht auf: Der multiethnische Sahelstaat leidet ebenfalls unter einer zwielichtigen politischen Führung und ist Gastgeber umfangreicher internationaler Stabilisierungstruppen, die sich vergeblich bemühen, einer wachsenden islamistischen Aufstandsbewegung Herr zu werden. Dieses Déjà-vu könnte sich noch verstärken, denn die Sicherheitslage in dem westafrikanischen Land verschlechtert sich derzeit rapide. Dementsprechend laufen die Europäer Gefahr in ein weiteres Fiasko wie Afghanistan hineingezogen zu werden, nur dass sie es diesmal weitgehend selbst verschuldet haben.

Die internationale Militärintervention

Der aktuelle Konflikt begann 2012, als Tuareg-Nomaden sich mit militanten Islamisten verbündeten, um im Norden Malis einen unabhängigen Staat zu schaffen. Zu allem Übel wurde die malische Regierung auch noch kurz darauf wegen ihres Misserfolgs im Vorgehen gegen den Aufstand gestürzt. In dem darauffolgenden Chaos eroberte die Rebellenkoalition große Teile des Nordens. In Reaktion auf diese Entwicklung, führte die ehemalige Kolonialmacht Frankreich eine blitzartige Militärintervention durch, die 2013 innerhalb weniger Monate einen Großteil der besetzten Gebiete befreite. Im Anschluss startete die internationale Gemeinschaft eine Vielzahl von Stabilisierungs- und Ausbildungsmissionen für Mali, wobei Deutschland zu einem der größten Truppensteller avancierte. Gleichzeitig unterhielt auch das französische Militär weiterhin eine ständige Präsenz im Land aufrecht, um Antiterroroperationen durchzuführen. Doch trotz dieser Bemühungen hat sich nicht nur die Zahl der Terroranschläge in Mali vervielfacht, sondern der Konflikt hat sich auch auf die Nachbarländer Niger und Burkina Faso ausgeweitet.

Der Putsch im Putsch

Vielleicht sollten die Parallelen zum Scheitern in Afghanistan nicht so sehr überraschen, wenn man bedenkt, dass die von Frankreich geführte Koalition weitgehend derselben Vorgehensweise folgte. Die Pariser Hauptsünde war wohl auch hier der Fokus auf eine militärische Lösung des „Terrorismus“-Problems in der Hoffnung, dass dies dann schon irgendwie das Land stabilisieren würde. In seinem verbissen geführten Antiterrorkampf kooperierte das französische Militär auch mit zwielichtigen lokalen Gruppen und ethnischen Milizen, die zahlreiche Gräueltaten und Übergriffe auf die Zivilbevölkerung verübt haben.

Tatsächlich hat sich das Schutzversprechen vor den Übergriffen nationaler und örtlicher Machthaber zu einem erheblichen Anziehungsfaktor für die aufständischen Kräfte entwickelt. Während die französischen Streitkräfte mit der Jagd nach wechselnden Terroristenführern beschäftigt waren, wurden die Probleme, die den Aufständischen einen stetigen Strom von Rekruten bescherten, von der politischen Führung in Mali weitgehend ignoriert. All dies trug zu einer zunehmenden antifranzösischen und regierungsfeindlichen Stimmung bei, die letztendlich in einem Militärputsch unter der Führung von Oberst Assimi Goïta im August 2020 resultierte.

Trotz einiger Protestnoten arbeitete die internationale Gemeinschaft größtenteils weiterhin mit dem neuen Regime zusammen, bis im Mai 2021 ein weiterer Putsch unter der Führung von Oberst Goïta das zivil-militärische Regime praktisch in eine reine Militärjunta verwandelte. Anstatt die für Anfang 2022 versprochenen nationalen Wahlen abzuhalten, will das Militär nun für bis zu fünf weitere Jahre an der Macht bleiben. Diese Entwicklung stellt für die Europäer im Allgemeinen und für Frankreich im Besonderen eine schwere Enttäuschung dar. Im letzten Jahrzehnt hatten die EU und andere europäische Länder mehrere Missionen zur Ausbildung und Unterstützung der malischen Sicherheitskräfte auf den Weg gebracht. Dieselben Sicherheitskräfte, die dann die Regierung nicht nur einmal, sondern gleich zweimal in weniger als einem Jahr stürzten.

Für Paris, dessen Streitkräfte Dutzende von Opfern in Mali zu beklagen hatten, ist der neue antiwestliche und insbesondere antifranzösische Kurs der neuen Regierung ein umso bittererer Schlag. In der Folge wurden beziehungsweise werden alle französischen und zahlreiche europäische Soldaten aus dem Land abgezogen, und selbst die Fortsetzung der UN-Stabilisierungsmission erscheint zunehmend zweifelhaft. Allerdings hat die malische Junta bereits einen weniger zimperlichen Ersatz für die schwindende europäische Unterstützung gefunden.

Liebesgrüße aus Moskau

Wir haben wohl alle schon einmal schlechte Erfahrungen mit Nachbarn gemacht, doch wahrscheinlich können nur wenige von sich behaupten Tür an Tür mit echten Kriegsverbrechern zu leben. Doch genau das ist die Situation, in der sich die UN-Friedenstruppen in Mali befinden, denn viele der von westlichen Streitkräften geräumten Militärstützpunkte wurden direkt von der russischen Wagner-Gruppe übernommen. Diese brutale russische Söldnertruppe fungiert als de facto Privatarmee der russischen Regierung und wird beschuldigt, auf mindestens drei Kontinenten Kriegsverbrechen begangen zu haben. In Afrika hat die Gruppe aus der Rettung von bedrängten Diktatoren ein regelrechtes Geschäftsmodell entwickelt. Im Gegenzug für ihre „Dienste“ erhält die Wagner-Gruppe dann für gewöhnlich lukrative Bergbau- oder andere Ressourcenkonzessionen. Es gibt konkrete Beweise dafür, dass Wagner-Kräfte bereits Hunderte von Zivilisten in Mali massakriert haben. 2022 dürfte das bisher tödlichste Jahr des Konflikts werden, da die Terrorgruppen sowohl die Zahl als auch die Qualität ihrer Angriffe rapide erhöhen.

Das nächste Afghanistan?

Wenn sich die Militärjunta ihrer prekären Lage bewusst ist, dann versteckt sie es gut. Anstatt die Probleme des Landes anzugehen, schikaniert die Junta lieber die UN-Stabilisierungsmission im Lande. Unter anderem wurden UN-Friedenssoldaten verhaftet, medizinische Evakuierungsflüge verhindert und notwendige Truppenrotationen ausgesetzt. Erst vor wenigen Tagen sah sich Deutschland gezwungen, seine Beteiligung an der Mission auszusetzen, und die Zukunft der UN-Präsenz scheint zunehmend ungewiss. Das Gleiche gilt für Mali als Ganzes. Die Gewalt eskaliert, terroristische Gruppen verüben immer dreistere Anschläge und die malische Regierung sieht größtenteils tatenlos zu. Wie sieht also die Zukunft für Mali aus? Auch wenn ein rascher Zusammenbruch wie in Afghanistan im Moment unwahrscheinlich erscheint, deuten alle Anzeichen auf eine weitere Verschlechterung der Lage hin. Wenn Malis jüngere Geschichte ein Indikator ist, so könnte wohl bald wieder ein Militärputsch anstehen.

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Author

Michael Trinkwalder