Haiti: Inselstaat der Katastrophen?
Mit seinem angenehmen Klima, wunderschönen Stränden, kolonialer Architektur und einzigartiger Kulturgeschichte sollte der Inselstaat Haiti eigentlich zu den Top-Reisezielen in der Karibik gehören. Doch anhaltende politische Instabilität und ein verheerendes Erdbeben im Jahr 2010, das die Hauptstadt Port-au-Prince weitgehend dem Erdboden gleichmachte und bis zu 220.000 Menschen das Leben kostete, haben das Land zum ärmsten in der gesamten westlichen Hemisphäre gemacht. Seither wurde Haiti von einer ganzen Reihe weiterer Naturkatastrophen, einem Präsidentenmord sowie einem sprunghaften Anstieg der Bandenkriminalität erschüttert, was einen Großteil der noch stattfindenden Wirtschaftsaktivität des Landes lahmgelegt hat. Bedauerlicherweise steht Haitis anhaltende Talfahrt nun wohl vor einem erneuten Schub.
Der seltsame Präsidentenmord
Es ist etwas mehr als ein Jahr her, dass der haitianische Präsident Jovenel Moïse ermordet wurde, aber es gibt immer noch deutlich mehr Fragen als Antworten. Als am 7. Juli 2021 eine Gruppe bewaffneter Söldner das Haus des Präsidenten stürmte, leistete ihnen sein Sicherheitspersonal keinen nennenswerten Widerstand. Im Anschluss an die Tat versuchten einige der Attentäter, in die taiwanesische Botschaft zu fliehen, während sich andere in einem nahen gelegenen Haus verbarrikadierten. Zwar wurden im Zusammenhang mit dem Mord Dutzende verhaftet, aber keiner von ihnen wurde angeklagt, und bisher haben sich bereits vier Richter von dem Fall zurückgezogen.
Die Rolle des derzeitigen haitianischen Premierministers Ariel Henry, der nur wenige Tage vor dem Mord ernannt wurde, ist ebenfalls äußerst fragwürdig. Er hatte nicht nur enge Verbindungen zu dem mutmaßlichen Drahtzieher des Mordes, sondern entließ auch mehrere Regierungsbeamte, die versucht hatten, seine Rolle in dem Komplott zu untersuchen. Zwar war der getötete Moïse äußerst unbeliebt, doch wenn die Behörden weder in der Lage sind, den Präsidenten zu schützen, noch seine Ermordung ernsthaft aufzuklären, was können dann normale Haitianer erwarten?
Amok laufende Gangs
Schon vor der Ermordung des Präsidenten litt der karibische Inselstaat unter wirtschaftlichem Niedergang, Güterknappheit und weit verbreiteter Bandengewalt. Doch seit der Ermordung befindet sich das Land im freien Fall. Mehr als 150 bewaffnete Banden sind in Haiti aktiv und mehr als die Hälfte der Hauptstadt steht unter Gangkontrolle. Regelmäßig sind Teile des Inselstaates durch Straßensperren der Banden von der Außenwelt abgeschnitten und Frachtladungen können aufgrund der Sicherheitslage nicht entladen werden, was wiederum Waren- und insbesondere Treibstoffknappheiten verschärft. Die Vereinten Nationen warnen, dass sich die schwer bewaffneten Banden zunehmend professionalisieren und immer brutal vorgehen. So wurden Anfang Juli innerhalb von nur fünf Tagen mindestens 234 Menschen bei offenen Straßenkämpfen zwischen rivalisierenden Banden im Viertel Citè Soleil der Hauptstadt Port-au-Prince getötet oder verletzt.
In den vergangenen Jahren gerieten Zivilisten eher zufällig ins Kreuzfeuer der Bandengewalt, aber inzwischen ist den Kämpfenden die Unterscheidung zwischen feindlichen Bandenmitgliedern und Zivilisten zunehmend egal. Die Gewalt hat unter anderem zur Schließung von etwa 1.700 Schulen geführt, was den kriminellen Organisationen einen ständigen Nachschub an neuen Rekruten sichert. In einem Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung von weniger als vier Dollar pro Tag lebt, wird die Mitgliedschaft in einer Bande oft als einziger Ausweg aus der Armut gesehen.
Entführungszahlen steigen rapide
Aufgrund des drastischen Wirtschaftseinbruchs werden immer mehr Menschen zur Zielscheibe von Entführungen, wobei selbst offensichtliche Armut keinen Schutz bietet. Im Jahr 2021 wurden mehr als 1.200 Entführungen zur Erpressung von Lösegeld erfasst, wobei die tatsächliche Zahl erheblich höher liegen dürfte. Die Lösegeldforderungen bewegen sich zwischen 300.000 und 1 Million US-Dollar, und Radiosender senden inzwischen regelmäßig Spendenaufrufe für Entführungsopfer. Obwohl die meisten Opfer Haitianer sind, haben einige Banden ihren Fokus auf Ausländer verlagert, um höhere Lösegeldzahlungen erpressen zu können. Die Banden sind der Polizei sowohl zahlenmäßig als auch waffentechnisch deutlich überlegen. Insgesamt stehen nur etwa 9.000 Polizisten zur Verfügung, um in einem Land mit mehr als 11 Millionen Einwohnern für Sicherheit zu sorgen. Dementsprechend werden Entführer nur selten gefasst, und in 2022 steuert Haiti bereits auf einen neuen Rekord bei Entführungen und Morden zu.
Ohne Ausweg?
Es dürfte deshalb wenig überraschen, dass mehr als 82 % der haitianischen Bevölkerung den Inselstaat verlassen möchten, aber es gibt nur wenige legale Migrationswege. Weshalb eine wachsende Zahl von Menschen entweder zu Fuß oder, was viel häufiger vorkommt, auf baufälligen Booten illegal migriert. Allerdings verweigern die meisten Karibikländer diesen Flüchtlingen die Einreise. Allein im letzten Jahr wurden mindestens 25.000 Haitianer aus verschiedenen Ländern der Region ausgewiesen. Auch die politische Entwicklung in Haiti ist nicht gerade ermutigend. So hat Premierminister Henry Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben, weil er darauf besteht, zunächst die allgemeine Sicherheitslage zu verbessern. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es aber wahrscheinlicher, dass der Inselstaat mehrheitlich von Banden beherrscht wird, bis sich die zerstrittenen politischen Führer endlich auf die Zukunft des Landes geeinigt haben.
Wo eine Krise die nächste jagt, will eine Reise gut vorbereitet sein. Das Global Monitoring von A3M bietet nicht nur aktuellste Informationen zu den Entwicklungen in Haiti, sondern sorgt mit seiner weltweiten Abdeckung von Unruhen, Terrorismus, Naturkatastrophen und Transportzwischenfällen dafür, dass Kunden rund um den Globus sicher unterwegs sind.