Die große Annullierung: Flugreisen unter dem bleiernen Schatten von COVID-19
Tausende von Flugausfällen, zahllose Verspätungen und lange Schlangen an den Flughäfen. Viele hatten wohl gehofft, dass diese Szenen mit der schrittweisen Aufhebung der COVID-19-Beschränkungen in weiten Teilen der Welt endlich der Vergangenheit angehören würden, aber wieder einmal hatte das Virus andere Pläne. Statt staatlicher Vorschriften ist es nun vor allem der durch COVID-19-Infektionen, frühere Entlassungen und Burnout verursachte Personalmangel, der den Flugverkehr ins Chaos stürzt. Auch wenn die Pandemie nun langsam in ihre endemische Phase eintritt, wird dieses Problem wahrscheinlich nicht so bald verschwinden. Handelt es sich also nur um eine weitere vorübergehende Verzögerung des ersehnten Reisecomebacks oder könnte das derzeitige Chaos im internationalen Luftverkehr tatsächlich zur neuen Norm werden?
Eine Katastrophe jagt die Nächste
Die verheerenden Auswirkungen von COVID-19 auf Fluggesellschaften und Flughäfen weltweit sind kaum in Worte zu fassen. Allein im Jahr 2020 wurden im Luftverkehrssektor fast 25 Millionen Menschen entlassen, und zudem mussten Tausende von Flugzeugen teilweise jahrelang am Boden bleiben. Passagiere wurden durch komplizierte und sich ständig ändernde Einreisebeschränkungen, die sich von Land zu Land unterscheiden, vom Reisen abgeschreckt (siehe A3M-Informationsportal zu länderspezifischen Einreisebeschränkungen). Das Risiko einer Ansteckung kam noch erschwerend hinzu. Zwar hat sich die Reiselust vieler Menschen inzwischen wieder erholt, aber die Hoffnung auf ein Wiederaufleben von Flugreisen wurde wieder und wieder durch neue noch übertragbarere COVID-19-Varianten zunichte gemacht.
Der russische Einmarsch in der Ukraine war daher nur die jüngste in einer langen Reihe von Katastrophen für die Branche. Die ohnehin schon niedrigen Flugverkehrszahlen in Europa gingen um weitere 23 % zurück. Aufgrund der Sperrung des Luftraums eines Großteils der westlichen Welt für russische Fluggesellschaften wurden russische Touristen von Ländern wie Zypern und Griechenland praktisch ausgesperrt. Weitaus schlimmer für den internationalen Reiseverkehr war jedoch der doppelte Schlag, der Sperrung des russischen Luftraums und der kriegsbedingt stark ansteigenden Kerosinpreise. Da die kürzesten Flugrouten zwischen Europa und Asien über Russland verlaufen, verlängerte sich die Flugzeit zwischen vielen wichtigen Zielen um mehrere Stunden. In Verbindung mit den sprunghaft gestiegenen Treibstoffkosten dürfte dies, zumindest mittelfristig, zu einem Anstieg der Ticketpreise führen.
Der Niedergang eines Traumjobs?
Doch selbst wenn der Krieg morgen zu Ende wäre, die Pandemie wird uns noch eine ganze Weile begleiten. Obwohl ein Großteil der Industrieländer von strengen COVID-19-Vorschriften abrückt, hat die Omikron-Variante immer noch große Auswirkungen auf die Mitarbeiterzahlen von Fluggesellschaften und Flughäfen. Einige Flughäfen sahen sich sogar schon gezwungen, Airlines direkt aufzufordern, Flüge zu streichen und neue Buchungen während bestimmter Stoßzeiten zu verweigern. Außerdem bietet bei der Omikron-Variante nicht einmal eine frühere Erkrankung einen zuverlässigen Schutz vor einer Reinfektion.
Noch gravierender ist, dass ein erheblicher Teil des Personals im Luftfahrtsektor nicht nur vorübergehend wegen Krankheit ausfällt, sondern auf Dauer weg ist. Während der Pandemie verloren Millionen von Beschäftigten in der Branche ihre Arbeit, ohne zu wissen, ob und wann sie jemals wieder an ihren früheren Arbeitsplatz zurückkehren können. Das verbleibende Personal, hingegen war mit einer enormen Zunahme an „widerspenstigen Passagieren“ konfrontiert. Das ist die euphemistische Bezeichnung für Reisende, die sich weigern, Masken zu tragen, das Flugpersonal beschimpfen oder dieses sogar tätlich angreifen. Zwar haben auch andere Berufsgruppen Anfeindungen erlebt, aber Beschäftigten in der Luftfahrtbranche scheinen ganz besonders zum Blitzableiter für pandemiebedingte Frustration geworden zu sein.
Zugleich verlangen einige große Reiseziele immer noch, dass sich Flugbesatzungen nach jeder Landung quasi einer Hotelquarantäne unterziehen. Hinzu kommt das allgegenwärtige Risiko, im Falle einer COVID-19-Infektion im Ausland zu stranden und die Gefahr einer erneuten pandemiebedingten Entlassung bleibt natürlich auch stets im Hinterkopf präsent. Außerdem müssen zurückkehrende Piloten strenge Schulungsprogramme durchlaufen, um sich wieder für den Flugbetrieb zu qualifizieren. All diese Faktoren in Verbindung mit einem immer stärker umkämpften Arbeitsmarkt machen es derzeit schwierig, genügend Mitarbeiter für die Luftfahrtbranche zu gewinnen.
Der neue Normalzustand?
Erschwerend kommt hinzu, dass sich diese Probleme nicht nur auf den Luftfahrtsektor beschränken, sondern auch das Hotel- und Gastgewerbe schwer von der sogenannten „Großen Kündigungswelle“ getroffen wurde. Wiedereröffnungen, gefolgt von kurzfristigen Schließungen infolge wiederholter Lockdowns, haben dazu geführt, dass sich das Personal krisensichereren Jobs zugewandt hat. Die Konsequenz ist ein akuter Arbeitskräftemangel in Hotels, Restaurants und Cafés.
Die allgemeine Reiselust mag zwar wieder auf das Niveau von vor der Pandemie zurückgekehrt sein, die Personaldecke in der erweiterten Tourismusbranche ist es jedoch definitiv nicht. Mit genügend Zeit, finanziellen Anreizen und anderen Vorteilen sollte es jedoch möglich sein, wieder genügend Mitarbeiter zurück in die Reisebranche zu locken. In der Zwischenzeit müssen sich Reisenden jedoch auf längere Wartezeiten, höhere Kosten und schlechteren Service einstellen. Was den internationalen Reiseverkehr anbelangt, so liegt die Rückkehr zur Normalität möglicherweise noch in weiter Ferne.
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