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Die Wiederholung einer Tragödie: Ist Myanmar das nächste Syrien?

Ein gelähmter Weltsicherheitsrat, eine Massenbewegung die brutal niedergeschlagen wird, Hunderttausende auf der Flucht und aufgebrachte Demonstranten, die zu den Waffen greifen. Die Parallelen zwischen der sich zuspitzenden Situation in Myanmar und dem Anfangsstadium der syrischen Katastrophe sind ebenso verstörend wie zahlreich – und sie nehmen weiter zu. Was als eine Kampagne des zivilen Ungehorsams gegen einen weiteren Militärputsch in einem historisch von Putschen geplagten Land begann, entwickelte sich langsam zu einem Volksaufstand und droht nun vollends in einen Bürgerkrieg umzuschlagen. Kann eine weitere Eskalation der Krise in Myanmar noch verhindert werden oder steuert das Land unweigerlich auf eine Katastrophe syrischen Ausmaßes zu?

Ein Putsch eskaliert

Als am ersten Februar die Tatmadaw, wie das Militär Myanmars auch genannt wird, die Regierung absetzte, hatte die Militärführung offensichtlich nicht mit derartig viel Ablehnung gerechnet. Für ein Land, das fast ein halbes Jahrhundert lang unter Militärherrschaft stand, schien der Putsch eher eine Rückkehr zum Status quo darzustellen als eine Störung desselben. Dementsprechend ratlos stand das Militär dann auch der spontan in hunderten von Städten entstehenden Massenprotestbewegung gegenüber. Aus Sicht des Militärs noch schlimmer ist, dass die Proteste auch durch massenhaften zivilen Ungehorsam von Beamten, Gesundheitspersonal, Bankangestellten, Lehrern und vielen weiteren Berufsgruppen unterstützt wurden, wodurch das Land effektiv zum Stillstand kam.

Konfrontiert mit solch vehementem Widerstand reagierte die Tatmadaw mit offenem Staatsterror: Nächtliche Razzien, willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Hinrichtungen und wahllose Massaker. Im Zuge dessen, wurden Hunderte ermordert und Tausende weitere verhaftet, wobei die tatsächlichen Zahlen wohl weitaus höher liegen dürften. Im Gegenzug begannen die Demonstranten, Bürgerwehren zu bilden, die eine „Regierung der nationalen Einheit“ nun zu einer „Volksverteidigungarmee“ schmieden will – alles Entwicklungen, die an den Konflikt in Syrien erinnern.

Ähnlich, aber nicht gleich

Allerdings gibt es auch deutliche Unterschiede zu Syrien. Obwohl Russland beispielsweise engere Beziehungen zur Militärjunta anstrebt, gibt es im Moment wenig Anzeichen dafür, dass sich die Lage In Myanmar zu einem mehrseitigen Stellvertreterkrieg nach syrischem Vorbild entwickeln könnte. Das liegt vor allem daran, dass Myanmar schon lange vor der aktuellen Krise in einen Mehrparteien-Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Volksgruppen verwickelt war.

Dieser Konflikt, der praktisch seit der Unabhängigkeit des Landes andauert, ist von ethnischen Gewalttaten, Kriegsverbrechen und massiven Vertreibungen geprägt, von denen die berüchtigte ethnische Säuberungskampagne gegen die muslimischen Rohingya nur das gravierendste Beispiel ist. Doch trotz der jahrzehntelangen Gewalt zwischen den verschiedenen Volksgruppen sind die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen Myanmars geeint in ihrer Opposition gegen die Militärregierung und in der Unterstützung der Proteste. Selbst einige der Rebellengruppen verstärken nun ihre Angriffe gegen die Tatmadaw und beginnen, die aufgebrachten Demonstranten militärisch auszubilden.

Die bevorstehende humanitäre Katastrophe

Angesichts bewaffneter Auseinandersetzungen und rapide steigender Opferzahlen ist die drohende humanitäre Katastrophe im Lande weitgehend aus dem Blickfeld geraten. Die Wirtschaft Myanmars, die bereits schwer von der COVID-19-Pandemie betroffen war, ist durch die Kampagne des zivilen Ungehorsams weitestgehend zum Erliegen gekommen und wird voraussichtlich um bis zu 20% schrumpfen. Arbeitsplatzverluste vervielfachen sich und an Bargeld zu gelangen wird zunehmend schwieriger. Außerdem sind Hunderttausende auf der Flucht, und die UNO schätzt, dass 3,4 Millionen Myanmarer in den kommenden Monaten nicht in der Lage sein werden, sich mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass das Gesundheitssystem im Prinzip zusammengebrochen ist, was auch Tests auf und die Behandlung von COVID-19 einschließt. Mit anderen Worten, das Land ist bereits jetzt auf dem besten Weg in eine humanitäre Katastrophe. Doch sollte sich die Situation weiter zuspitzen, könnte sich das Rinnsal von in die Nachbarstaaten fliehenden Myanmarer, zu einer wahrhaften Flut entwickeln. Dadurch würde nicht nur die Nachbarschaft Myanmars destabilisiert, sondern sehr wahrscheinlich auch die Pandemie in der Region erheblich angeheizt.

Ein Land am Scheideweg

Einhundert Tage nach dem Putsch scheint es keinen offensichtlichen Ausweg zu geben. Der UN-Sicherheitsrat ist aufgrund chinesischer und russischer Unnachgiebigkeit nicht in der Lage, etwas anderes als verbale Verurteilungen anzubieten. Obwohl mehrere Länder Sanktionen gegen die Militärjunta verhängt haben, bleibt deren Wirkung doch weitgehend symbolisch. Im Land selbst verfestigt sich der Widerstand der Bevölkerung gegen den Putsch und es gibt Anzeichen dafür, dass ehemals friedliche Demonstranten zunehmend bereit sind, zu den Waffen zu greifen. Umgekehrt hat die Militärjunta schon zu viel Blut vergossen und den Hass zu vieler Menschen auf sich gezogen, um sich jetzt noch zurückziehen zu können. Während dieses Patt andauert, nähert sich Myanmar immer stärker dem staatlichen Zusammenbruch, und steuert auf einen weiteren langwierigen Bürgerkrieg zu. Auch wenn diese Situation keine exakte Neuauflage der syrischen Tragödie darstellt, so scheint sie sich doch damit zu reimen.

Author

Michael Trinkwalder