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Geschäftsreisen in Zeiten von Corona: Ein Bericht aus Armenien

Reisen während der COVID-19-Pandemie – geht das? Thorsten Muth aus unserem Travel Security Analysts Team war für eine Woche in der Kaukasusrepublik Armenien.

Stuttgart, Ende 2020. Erst vor kurzem sind die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie in Deutschland verschärft worden, dennoch steigt die Zahl der Neuinfektionen. Mein Koffer wirkt in der S-Bahn irgendwie fehl am Platz. Die erste Flugreise nach Monaten des COVID-19-Stillstandes fühlt sich schon vor dem Start ungewohnt an und auch der Flughafen ist an diesem frühen Donnerstagabend fast wie ausgestorben. Obwohl im Gegensatz zum Frühjahr wieder eine Vielzahl von Destinationen angeflogen werden kann, verzeichnet der Stuttgarter Flughafen im November immer noch über 75 Prozent weniger Flüge als zur gleichen Zeit im Vorjahr. Selbst die Zusammensetzung der Business-Reisenden hat sich verändert: Auf meinem Flug nach Wien befinden sich fast ausschließlich Männer. Laut einer Auswertung der Lufthansa-Tochter AirPlus International ist der Anteil der Frauen an den deutschen Geschäftsreisenden von 18,6 Prozent im Januar auf 12,1 Prozent im Oktober gefallen. Die Maschine ist nur halbvoll, jeder Passagier hat seine eigenen zwei Plätze und dementsprechend angenehm viel Raum für sich. Es gilt außerdem Maskenpflicht, die von allen befolgt wird. Auf dem Anschlussflug nach Jerewan jedoch ist Abstand halten fast unmöglich: Da niemand so viel übergroßes Handgepäck hat wie die Armenier, bilden sich in der Gangway lange Schlangen. Mehrere Passagiere müssen ihr Gepäck schließlich nach vorne bringen. Mit Verspätung geht es los, freie Plätze gibt es kaum. Mein Sitznachbar hat neben seinem Mund- Nase-Schutz auch noch eine Schlafmaske aufgesetzt und döst gesichtslos auf seinem Fensterplatz, ein paar Passagiere weiter hinten husten. Die Ansteckungsgefahr auf Flugreisen, zu der es Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen gibt, wird allgemein als gering eingeschätzt. Es wird vermutet, dass vor allem der Luftaustausch in Flugzeugkabinen (etwa 20 mal pro Stunde) die Ausbreitung des Virus an Bord effektiv hemmt. Die Maskenpflicht an Bord senkt das Risiko weiter.

Passenger Locator Form

Vor der Landung in Jerewan teilen die beiden Flugbegleiterinnen Formulare aus: Die meisten Länder, in die man derzeit reisen kann, verlangen mittlerweile ein „Passenger Locator Form“ oder ähnliche Dokumente zur
Kontaktnachverfolgung. Persönliche Informationen, der Name des Hotels und eventuelle Vorerkrankungen müssen angegeben werden. Am Flughafen in Jerewan ist auch außerhalb von Corona-Zeiten wenig Betrieb. Weil Armenien kein Nachtflugverbot hat, sparen sich die europäischen Fluggesellschaften zuhause die Parkgebühren und landen in den frühen Morgenstunden. „What was your purpose for travelling to Turkey?“, werde ich an der Passkontrolle gefragt, als die Beamtin die türkischen Stempel in meinem Reisepass entdeckt. Armenien ist nicht nur Corona-Hotspot: Erst wenige Tage zuvor war eine 44-tägigee bewaffnete Auseinandersetzung mit Aserbaidschan, einem engen Verbündeten der Türkei, zu Ende gegangen. Das östliche Nachbarland hatte eine Offensive gegen die seit 30 Jahren abtrünnige, fast ausschließlich von Armeniern bewohnte Republik Bergkarabach begonnen, die offiziell zum Staatsgebiet Aserbaidschans gehört und international nicht als unabhängiger Staat anerkannt wird. Ein Waffenstillstandsabkommen im November wird von den meisten Armenier als Niederlage interpretiert, was Armenien in eine tiefe politische Krise stürzte. Demonstrationen setzen die Regierung, die erst 2018 nach einer friedlichen Revolution in denersten fairen Wahlen seit Jahren an die Macht gekommen ist, seit Wochen unter Druck. Auch die Krankenhäuser in der Hauptstadt sind voll, die doppelte Belastung durch verletzte Soldaten und COVID-19- Patienten hat die Kliniken an den Rand ihrer Kapazitäten gebracht. Armenien hat in Relation zur Einwohnerzahl mehr als dreimal so viele Corona-Tote zu verzeichnen wie Deutschland.

Diverse Labore und Krankenhäuser werben an der COVID-19-Teststation

Nachdem ich mein Gepäck abgeholt habe, lotst mich ein Mediziner im weißen Mantel zu den COVID-19-Teststationen. Hier muss sich jeder Passagier testen lassen, der keinen negativen PCR-Test aus seinem Herkunftsland mitgebracht hat. Wie bei armenischen Banken oder Postämtern wird auch hier eine Nummer gezogen und man hat die Qual der Wahl, sich zwischen sechs Laboren und Krankenhäusern für einen Test zu entscheiden. Alle werben damit, innerhalb von 6 Stunden Ergebnisse zu liefern, einhalten kann dieses Versprechen kein einziger der Anbieter. Die Pandemie hat Armenien im Griff, die Labore sind ausgelastet. Ich entscheide mich für den Test, der mir 25 Prozent Rabatt anbietet. Vielleicht bekomme ich das Ergebnis auch deshalb erst nach 36 Stunden – und nachdem eine armenische Bekannte bei der Hotline angerufen hat. Die Wartezeit verbringe ich in meinem geräumigen Hotelzimmer. Das Hotel sieht von außen dunkel und leer aus. Bis auf einige russische Journalisten scheint hier tatsächlich niemand zu übernachten, wie ich in den kommenden Tagen feststelle. Aufgrund der Quarantänevorschriften wird jeder Hotelgast mit einem üppig beladenen Tablett verpflegt, das jeden Morgen gegen neun aufs Zimmer gebracht wird: Gebäck, eingelegte Früchte, etwas Gemüse und Lavasch, armenisches Fladenbrot. Selbst ein Teller lauwarmer Nudeln ist dabei. Niemand soll in Quarantäne hungern. Als mein Ergebnis (negativ) endlich ins E-Mail-Postfach flattert, kann ich erleichtert Termine bestätigen und auf die Straße gehen.

Jerewan

Die Außenbereiche der Restaurants am Fuß von Jerewans Hauptsehenswürdigkeit, der Kaskade, sind mit Heizstrahlern und Wolldecken ausgestattet. Dank des gnädigen Wetters kann man sich im November ohne Probleme draußen treffen und muss sich nicht in überfüllten Räumen drängen. In den Geschäften stehenDesinfektionsmittel am Eingang, häufig wird in Cafés die Temperatur an den Handgelenken gemessen. Die Maskenpflicht im Freien wird von vielen Menschen eingehalten, aber nicht von allen. Da der öffentliche Nahverkehr zum großen Teil auf Kleinbussen (Marschrutkas) basiert, in denen sich die Menschen drängen, ist ein Ausweichen nicht immer möglich. Angesichts der alarmierenden Infektionszahlen ist die Wahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens mit infizierten Menschen hoch. Andererseits begegnen mir auch zahlreiche Personen, die bereits eine COVID-19-Erkrankung überstanden haben – wie Artash, der Taxifahrer, der mir auf dem Weg zurück zum Flughafen Bilder von seiner Stellung an der Front in Bergkarabach zeigt. Unter den Soldaten hat die Pandemie ebenfalls heftig gewütet. Normalerweise arbeitet Artash in einem Restaurant, aber seit Beginn der Pandemie sieht es schlecht aus: Der Komplettausfall der Urlaubssaison hat nicht nur der Tourismusbranche herbe Einbußen beschert, Taxi fahren scheint rentabler zu sein. Auch mein ursprünglich gebuchter Rückflug fällt aus, was mir zum Glück rechtzeitig mitgeteilt worden ist. Auf dem Heimweg nehme ich deshalb die Verbindung über Minsk. Vor der Landung wird man auch hier mit einem Stapel Papiere ausgestattet, von denen für Transitreisende allerdings nur ein Formular relevant ist, abzugeben an dem einzigen Schalter, vor dem sich zahllose Menschen in eine Schlange gereiht haben. Abstandsregeln werden hier kaum eingehalten. Bei den Passagieren auf dem Weg nach Deutschland wird kontrolliert, ob die Digitale Einreiseanmeldung ausgefüllt worden ist: Ich zeige die PDF vor, die nicht viel mehr als meinen Namen, mein Geburtsdatum und eine Nummer zeigt – mittlerweile verpflichtend, wenn man aus einem Risikogebiet in die Bundesrepublik einreisen möchte. Stichproben haben unterdessen gezeigt, dass jeder fünfte Reiserückkehrer bei seinen persönlichen Angaben schummelt: Bei tausenden Passagieren sind Kontaktdaten oder Namen teilweise oder komplett falsch.

Digitale Einreiseanmeldung

Wie sich die weitere Entwicklung der Pandemie auf die Zukunft von Geschäftsreisen auswirken werden, dürfte von einer Reihe von Faktoren abhängig sein, etwa davon, wann eine Impfung gegen COVID-19 allgemein verfügbar sein wird. Eine Reise in Corona-Zeiten endet zudem nicht einfach mit der Ankunft am Flughafen oder Bahnhof: Die aktuellen Regeln zur Wiedereinreise nach Deutschland sehen für Rückkehrer aus Risikogebieten eine zehntägige Heimquarantäne vor. Allerdings kann schon nach fünf Tagen ein Test durchgeführt werden, dessen negatives Ergebnis die Quarantäne frühzeitig beendet. Ein Test direkt am Flughafen hingegen hat für Rückkehrer aus Risikogebieten wenig Nutzen, da das Ergebnis fünf Tage später bereits veraltet ist. Es bietet sich daher an, für die Testung eine örtliche Fieberambulanz oder (kostenpflichtig) den Hausarzt aufzusuchen. Das Ergebnis lässt ungefähr weitere 36 Stunden auf sich warten. Auch wenn der Bescheid dankenswerterweise direkt auf die Corona-App kommt – praktikabel sind Reisen in Risikogebiete nur dann, wenn anschließend vom Home Office aus gearbeitet werden kann. Zudem ändern sich die Bestimmungen nicht nur im Zielland regelmäßig. Auch für 2021 gilt daher: Ein Business-Trip ins Ausland, besonders wenn es in weiter entfernte Ziele geht, sollte gut vorbereitet sein und in Zusammenarbeit mit einem kompetenten Reisesicherheitsdienstleister durchgeführt werden.

Author

Thorsten Muth