Presse

Bunte Kreise um schwere Krisen

Terror, Brände, Katastrophen: Die Firma A3M warnt vor den Gefahren in der Welt. Ihre Kunden sind Reiseveranstalter und Unternehmen mit Mitarbeitern im Ausland.

„Am Sonntag (25.06.) sank auf dem Stausee El Peñol, nahe Guatapé, im Nordwesten von Kolumbien, das Ausflugsschiff Almirante mit etwa 170 Personen an Bord. Es wird von mindestens sechs Toten ausgegangen, nachdem zwischenzeitlich von mindestens neun Toten die Rede war. Mindestens 31 weitere Personen werden noch vermisst. Warum das Schiff sank, ist derzeit unklar.“

Diese Meldung stellte Christian Reck, 30, kurz nachdem er sie im Internet entdeckt hatte, in das Global Monitoring System seines Arbeitgebers A3M in Tübingen ein. Verbreitet hatte sie eine deutsche und eine französische Nachrichtenagentur.

Wie die Agenturen informiert auch A3M. Doch die Firma kuratiert ausschließlich Gefahren. Die Kunden sind Reiseveranstalter und international tätige Firmen mit Mitarbeitern im Ausland. Die Informationen handeln von Naturkatastrophen, Terroranschlägen, Streiks oder Epidemien. Das ist der redaktionelle Teil der Dienstleistung des Unternehmens. Der andere ist ein IT-System, das Meldungen wie diese auf Relevanz für die Kunden von A3M hin automatisch untersucht und betroffene Unternehmen warnt. Über Schnittstellen zu den Buchungssystemen der Reiseveranstalter zum Beispiel erfährt A3M sehr schnell, ob sich Urlauber des Veranstalters auf dem Schiff befanden.

24 Stunden die Welt im Blick

Vierzig Beschäftigte hat A3M, davon sind zehn festangestellte Redakteure wie Christian Reck, zwei arbeiten freiberuflich. Ihren Dienst teilen sie sich in zwei Schichten auf: zwischen 6.00 und 23.00 Uhr, an 365 Tagen im Jahr. Die Nachtschichten übernehmen Kollegen in Südkorea, denn dann ist dort Tag. Bei Großereignissen haben die Deutschen zusätzlich Bereitschaftsdienst, wie zuletzt bei den Waldbränden in Spanien. „Bei Bränden geht keine unmittelbare Gefahr wie bei einem Amoklauf aus“, sagt Reck. Deshalb ist Zeit, um über die eigentliche Meldung hinaus Informationen zu sammeln. Etwa: Wie groß ist das Gebiet, in dem es brennt und wie viel Fläche ist gefährdet? Ist das ein touristischer oder wirtschaftlicher Standort, an dem es brennt?

Auf Deutsch und Englisch wird dann die Warnmeldung für das General Monitoring System verfasst, mit den Zusatzinformationen. Firmen wie A3M gibt es Mehrere. Das Alleinstellungsmerkmal der Schwaben ist die sogenannte Georeferenzierung im System. Sie zeigt rund um den Brennpunkt Flächen und Gebiete an, die betroffen sind. Farblich hinterlegt, mit blasseren Farben bei abnehmender Gefährdung in Kreisen um die Krisen. Kräftig sind die Farben im Zentrum des Brennpunkts.

Das Sichtbare an dem System ist eine virtuelle Landkarte auf einem Bildschirm. Auf dem sind täglich rund 200 unterschiedliche Zeichen an verschiedenen Orten aktiv. Hier ein Ausrufezeichen; das steht für eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts, das Symbol eines Panzers spricht für sich selbst, Handgranaten stehen für Terroranschläge, Blitze für Unwetter. Die Symbole leuchten in den Farben Grün bis Rot, je nach Gefahrenlage und in der Bedeutung ähnlich einer Verkehrsampel. Hinter jedem Zeichen steht eine Schlagzeile, verfasst von Redakteuren wie Reck. Wer sie anklickt weiß, welche Gefahr dort herrscht. Reck hat ein Bachelorstudium in Geschichte und Politik abgeschlossen, anschließen einen Master in neuer und neuester Geschichte mit Schwerpunkt Zeitgeschichte gemacht. Mit dem Studium war er 2012 fertig, anschließend hat er eine Dissertation an der Universität Tübingen angefangen, die er nun neben seinem Job fortsetzt. Bei A3M arbeitet er seit einem Jahr. Im Dienst beobachtet er nationale und internationale Quellen wie Behörden, etwa das Auswärtige Amt, Wetterdienste und Geoinformationssysteme, Reise- und Fluginformationen sowie Social-Media-Dienste großer Unternehmen. „Hauptsächlich aber beziehen wir unsere Informationen aus Nachrichtendiensten“, sagt Reck. Die Kunden haben Zugriff auf das Monitoring System. „Täglich erstellen wir etwa 50 Meldungen, von denen sind nicht alle für jeden Kunden relevant.“ Die Software filtert die relevanten Ereignisse heraus und verschickt automatisch an die betroffenen Firmen und Reisenden Warn-E-Mails, SMS oder App-Benachrichtigungen.

A3M wurde von zwei Professoren der Hochschule Furtwangen gegründet. Die hatten ein Frühwarnsystem für Tsunamis entwickelt. Das war 2005 und Auslöser für die Produktentwicklung der Tsunami im indischen Ozean im Jahr davor mit 230.000 Toten. Marcel Brandt, 40, studierte damals in Furtwangen Wirtschaftsingenieurwesen – und schrieb seine Diplomarbeit über das Frühwarnsystem. So wurde er erster Mitarbeiter von A3M. Der Firmenname steht für die drei A’s Alarm, Aufmerksamkeit, Achtung und das M für mobil. 2008 stiegen die Professoren aus und ein Investor ein. Brandt leitet heute das operative Geschäft.

„Zunächst war die Touristikbranche unsere Kundschaft, heute sind es zusätzlich international tätige Unternehmen“, sagt er. Sie nutzen die Dienste von A3M, weil sie eine Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter haben. Dieser Kundenkreis ist für A3M inzwischen bedeutender, weil es viel mehr Firmen insgesamt als Reiseveranstalter im Speziellen gibt. TUI, Thomas Cock, DER-Touristik und Studiosus gehören zu den Kunden aus der Reisebranche. Kärcher und Uvex sind international tätige Unternehmen, die die Dienste der Tübinger nutzen. In den nächsten Wochen bringt A3M eine mobile Applikation auf den Markt, die es auch Privatpersonen ermöglicht, das Expertenwissen zu nutzen.

Abschalten fällt schwer

Die Ausbildung von Reck ist typisch für Redakteure bei A3M. In seinem Studium hat er mehrere Qualifikationen erworben, die er braucht: Quellen und Texte kritisch bewerten, mit wenigen Worten das Wesentliche zu sagen, aufgrund politischer und geografischer Kenntnisse schnell beurteilen, wie die Lage vor Ort jeweils ist. Im Job von Reck kommt es außerdem auf extrem schnelles Handeln an. Neben Deutsch ist Englisch Pflicht, zudem ist eine weitere Fremdsprache gut. Reck spricht Französisch und hat Grundkenntnisse in Schwedisch. „Kollegen sprechen andere Sprachen, sodass wir beinahe die ganze Welt abdecken.“

Immer einen Blick auf die Welt zu haben, habe schon immer in seinem „ureigenen Interesse“ gelegen, sagt er. Seine Leidenschaft ist jetzt sein Beruf. Das sei zugleich aber auch sein Problem: „Weil ich ständig in Habtachtstellung bin, fällt mir das Abschalten vom Job manchmal schwer.“ Erschwerend kommt hinzu, dass die Krisen derzeit von Jahr zu Jahr immer mehr zunehmen. Im vergangenen Jahr registrierte A3M rund 1.400 Ereignisse weltweit mit terroristischem Hintergrund, 600 mehr als im Jahr davor.

Author

Samed Kizgin